Schöner,deutscher Wald in Flammen

aus dem Buch: "Natur- und Brand katastrophen" erschienen im Tosa-Verlag Wien

Das Feuer, das 1975 in der Lüneburger Heide wütete, war der schlimmste Flächenbrand seit Menschengedenken im deutschen Wald. Ältere Bundesbürger fühlten sich an den Zweiten Weltkrieg erinnert, als sie das Flammenmeer in der sonst so pittoresken Heidelandschaft erblickten. 8 000 Hektar Forstfläche brannten ab, fünf Feuerwehrleute kamen in den Flammen um, der Sachschaden belief sich auf rund 40 Millionen Mark.
Gespenstisch muten die nackten Stämme der hohen Kiefern vor der Kulisse der lichterloh brennenden Heide an.

Der Sommer 1975 ist in Deutschland ungewöhnlich heiß. Tag für Tag steigen die Temperaturen und erreichen im August die 35 Grad Celsius-Marke. Straßenbeläge schmelzen, Straßenbahnschinen verbiegen. Seit Monaten hat es keinen Tropfen mehr geregnet. Moore und Tümpel vertrocknen langsam.

Aus dem Süden Europas wird in den Nachrichten relativ häufig über größere Waldbrände berichtet. In Deutschland gilt die "Lüneburger Heide" als eines der brandgefährlichsten, weil trockensten Gebiete. Hier wachsen überwiegend Kiefern, und die brennen im ausgedörrten Zustand wie Zunder. Die Heidebewohner sind an kleinere Brände gewöhnt. Über 200 mal brennt es jährlich im Wald und auf der Heide. Den ersten Feuerwehrmeldungen, die am Sonntag, den 9. August 1975 in Gifhorn, Celle, Lüneburg usw. eingehen, sieht man deshalb relativ gelassen entgegen. Routiniert rückt die Feuerwehr der verschiedenen Kommunen aus, um die Feuer mit Löschzügen und Feuerpatschen aus den lokalen Spritzenhäusern zu bekämpfen. "Unser Feuer machen wir selber aus", so lautet zu diesem Zeitpunkt noch die Heidjer-Devise.

Doch es kommt Wind auf und diese warmen Sommerwinde fachen die verschiedenen Kleinbrände erst so richtig an. Noch im Laufe des Sonntags spitzt sich die Situation soweit zu, daß die lokalen Feuerwehrmannschaften kapitulieren. Innerhalb von vier Stunden hat sich eine 40 Meter hohe Feuerwand aufgebaut, die sich mit einer Geschwindigkeit von 15 Stundenkilometern quer durch die Heide frisst und dabei kein Hindernis kennt: Das Feuer überwindet natürliche Barrieren und künstliche Brandschneisen gleichermaßen mühelos. Bereits gelöschte Glutnester werden durch den Wind neu entfacht, Funken springen über, neue Brände in bisher sicher geglaubtem Areal entstehen.

Erst als die ersten Ortschaften - insgesamt werden es dreißig - evakuiert werden müssen, wird endlich das niedersächsische Innenministerium in Hannover eingeschaltet. Ministerpräsident Kubel fackelt nicht lange und fordert bundesweite Hilfe an. Ihm ist klar, dass der Brand die Kompetenzen und Mittel der kommunalen Feuerwehren wie auch die der Landesregierung weit überschreitet. Wenig später stehen rund 14-000 Helfer aus Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, NATO-Einsatztruppen sowie Feuerwehrmannschaften aus sieben Bundesländern, Polizisten und etliche freiwillige Helfer bereit. Sie verfügen über 700 Löschfahr- und -flugzeuge und Hubschrauber. 12-000 Liter Chemikalien stehen insgesamt zum Versprühen bereit. Am Boden reißen schwere Panzer bis zu 200 Meter breite Brandschneisen in die Wälder, um die Brandherde einzudämmen. Alle Helfer kämpfen bis an den Rand der volligen Erschöpfung, teilweise in 50-Stunden-Schichten. Fünf Feuerwehrleute verbrennen in ihrem Löschfahrzeug, als sie auf eigene Faust und ohne Funkgeräte in das Feuer ziehen. Das Feuer wird zum unbesiegbaren Feind. Es brennt sechs Tage lang, bevor es endgültig den Kampf aufgibt.

Warum so lange? Warum wird der Waldbrand trotz der vielen Helfer und deren technischem Gerät erst nach sechs Tagen in Kontrolle gebracht? An diese Frage entzündet sich ein Streit, der in diesen Tagen zu einem Politikum in Niedersachsen wird. Es stellt sich nämlich heraus, daß die Organisation der Brandbekämpfung mindestens genau so katastrophal wie das Ausmaß des Feuers selbst gewesen ist. Personelle Rangeleien, Kompetenzquerelen zwischen Feuerwehr und Polizei auf der einen und Militär auf der anderen Seite, so wie unzureichende Nachrichtenverbindungen - Sende- und Empfangsgeräte in Flammen - und Verständigungsschwierigkeiten, z.B. durch unterschiedliche Funksprachen, führen zu verspäteten Einsätzen, verzögern oder verhindern erforderliche Hilfsaktionen und erhöhen die Gefahr. Eines steht fest: Nach diesem Debakel ist der Glaube an deutsches Organisationstalent und deutsche Präzision zur Illusion geworden. Die ökologische Katastrophe bleibt wenigstens aus. Im August noch bezeichnet man den Wald als "Leichnam". Man rechnet mit großen Verlusten des Wildbestandes. Doch die Hirsche röhren pünktlich zur Brunftzeit und nur einen Monat später tönen wieder Vogelstimmen aus dem Wald.